Lerngeschichten
Lerngeschichten sind ein pädagogisches Dokumentationsverfahren, das ursprünglich aus Neuseeland kommt (entwickelt von Margaret Carr). Sie sind Teil der Portfolioarbeit in vielen Kitas und Kindergarten. Anders als reine Checklisten beschreiben Lerngeschichten in erzählender Form, was ein Kind gelernt oder erlebt hat – immer mit positivem Blick auf die Stärken und Interessen des Kindes. Eine pädagogische Fachkraft beobachtet dazu gezielt eine Alltagssituation, in der das Kind z.B. konzentriert spielt oder eine Herausforderung meistert. Anschließend schreibt sie eine „Geschichte“ in kindgerechter Sprache, oft als Brief an das Kind, in dem sie diese Beobachtung festhält: Welche neuen Fähigkeiten hat das Kind gezeigt? Woran hatte es Freude? Was hat es ausprobiert? Durch diese persönliche Ansprache fühlt sich das Kind verstanden und wertgeschätzt. Gleichzeitig gewinnen Eltern und Erzieher:innen tiefe Einblicke in die Lernprozesse des Kindes.
Lerngeschichten heben insbesondere die Kompetenzen des Kindes hervor, anstatt Defizite zu suchen. Für die pädagogischen Fachkräfte bieten sie die Chance, jedes Kind einmal ausgiebig in den Fokus zu nehmen und dessen Entwicklungsschritte bewusst zu reflektieren. Kinder wiederum freuen sich oft, wenn ihnen „ihre“ Geschichte vorgelesen wird – sie erkennen dadurch, was sie schon alles können, und entwickeln Stolz auf die eigenen Fortschritte. Eltern schätzen Lerngeschichten, weil sie auf lebendige Weise zeigen, was ihr Kind in der Kita erlebt und lernt, jenseits von trockenen Berichten. In der Praxis werden Lerngeschichten häufig in einem Portfolio-Ordner für jedes Kind gesammelt. So entsteht über die Zeit ein kleines Buch der Entwicklung voller wertschätzender Momentaufnahmen. Diese Form der Dokumentation stärkt die Erziehungspartnerschaft mit den Eltern und trägt zu einer positiven, ressourcenorientierten Lernkultur bei.
Praktische Beispiele der Lerngeschichten im Kita-Alltag:
- Beobachtung im Bauzimmer: Ein Erzieher beobachtet, wie Ella (4 Jahre) über Tage hinweg immer höhere Türme aus Klötzen baut. Er schreibt eine Lerngeschichte „Ellas Turmabenteuer“, in der er beschreibt, mit welcher Ausdauer und Freude Ella konstruiert – ergänzt durch Fotos ihres höchsten Turms.
- Portfolio-Ordner: Jedes Kind hat einen eigenen Ordner, in dem alle seine Lerngeschichten gesammelt werden. Beim Entwicklungsgespräch blättern Eltern, Kind und Erzieher:in gemeinsam darin und erinnern sich an besondere Momente (z.B. „Schau, hier ist die Geschichte, als du zum ersten Mal allein die Rutsche runter bist!“).
- Vorlesen der eigenen Geschichte: Nach dem Mittagessen liest die Bezugserzieherin dem Kind dessen neueste Lerngeschichte vor. Das Kind strahlt vor Stolz, hört seinen Namen und seine Taten – dieser persönliche Zuspruch stärkt sein Selbstwertgefühl sichtbar.
- Planung von Angeboten: Das Team wertet die Lerngeschichten regelmäßig aus, um Interessen der Kinder zu erkennen. Zeigen z.B. mehrere Geschichten, dass die Kinder begeistert experimentieren, wird ein kleines Forscher-Projekt geplant, das genau an diesen Interessen anknüpft.
- Elterneinbindung: Eltern werden ermutigt, auch von zu Hause besondere Lernmomente zu erzählen. Manchmal fließt ein Erlebnis von daheim (etwa „Luke hat am Wochenende Fahrradfahren gelernt“) in die nächste Lerngeschichte mit ein – so entsteht ein umfassendes Bild des Kindes.